Im Auftrag der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (SLM) erstellte Prof. Dr. Hubertus Gersdorf (Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Medienrecht an der Juristenfakultät der Universität Leipzig) ein Rechtsgutachten über die Regelungen des Medienstaatsvertrages (MStV) zur Aufsicht über journalistisch- redaktionell gestaltete Telemedien. Dieses Gutachten wurde am 08.06.2023 in der SLM vorgestellt und kann beim Verlag als Buch erworben werden.
Prof. Gersdorf erläutert zunächst ausführlich den Geltungsbereich von § 19 Abs. 1 MStV. Danach erfasst die Regelung (auch) viele programmbegleitende Websites von privaten Radioveranstaltern. Maßgeblich für seine Anwendbarkeit sind vor allem die publizistische Verantwortung des Anbieters für die verbreiteten Inhalte und deren journalistisch- redaktionelle Gestaltung. Eine solche Gestaltung ist anzunehmen, wenn „Rohinformationen“ oder (z. B. im Rahmen der Hörfunkberichterstattung) vorbearbeitete Informationen aufbereitet werden, um sie mit dem Ziel der Mitwirkung an der öffentlichen Meinungsbildung geschäftsmäßig und massenkommunikativ, also nicht nur zu privaten oder familiären Zwecken, online zu verbreiten. Das dürfte bei der Veröffentlichung auf einer programmbegleitenden Website grundsätzlich anzunehmen sein. Unerheblich ist demgegenüber, ob die Inhalte als (1) digital verbreitete Zeitung oder Zeitschrift (sog. Lesemedium; § 19 Abs. 1 Satz 1 MStV) verfasst werden oder (2) nicht (§ 19 Abs. 1 Satz 2 MStV). Die programmergänzenden Websites von privaten Radioveranstaltern werden im Regelfall der zweiten Gruppe zugehören.
Es versteht sich von selbst und ist nicht neu, dass für solche Inhalte die gesetzlichen Regelungen gelten (vgl. § 17 Sätze 2 f MStV; vormals § 54 Abs. 1 Sätze 2 f RStV) und sie den anerkannten journalistischen
Grundsätzen entsprechen müssen (§ 19 Abs. 1 MStV; vormals § 54 Abs. 2 RStV). Neu ist hingegen, dass journalistisch- redaktionelle Inhalte auf programmergänzenden Websites von privaten Radioveranstaltern mit dem Inkrafttreten des Medienstaatvertrages auch hinsichtlich der Einhaltung der anerkannten journalistischen Grundsätze einer Aufsicht unterworfen sind und Verstöße sanktioniert werden können.
Rundfunkveranstalter müssen bei der Verbreitung von Inhalten der vorgenannten Art die im Pressekodex des Deutschen Presserates formulierten berufsethischen publizistischen Grundsätze als Leitlinien sowie die hierzu ergangene Rechtsprechung berücksichtigen. Gerade der Verbreitung von Fake News soll hierdurch Einhalt geboten werden. Die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Wortberichterstattung stellt Prof. Gersdorf kurz und anschaulich dar.
Die Aufsicht über die Einhaltung der anerkannten journalistischen Grundsätze obliegt (auch) hinsichtlich der programmergänzenden Websites von privaten Radioveranstaltern im Regelfall den Landesmedienanstalten (§ 109 Abs. 1 MStV). Das gilt jedoch insbesondere nicht, wenn sich der anbietende Radioveranstalter insoweit einer „Aufsicht“ des Deutschen Presserates oder einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle unterwirft.
Prof. Gersdorf erachtet die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers, nach der journalistisch- redaktionell gestaltete Inhalte auf programmergänzenden Websites von privaten Radioveranstaltern an die Beachtung der anerkannten journalistischen Grundsätze gebunden und einer Aufsicht durch die Landesmedienanstalten unterworfen werden, für verfassungsrechtlich zulässig. Er beschreibt indes erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die konkrete Ausgestaltung von §§ 19 Abs. 1, 109 MStV. Insbesondere beanstandet er die fehlende Gewährleistung von gleichen Standards, wenn sich ein Anbieter durch die Unterwerfung unter die „Aufsicht“ des Deutschen Presserates oder einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle dem Zugriff der Landesmedienanstalten „entzieht“. Eine „Flucht in das Aufsichtssystem mit geringster Sanktionserwartung“ sei möglich.
Fazit: Nicht nur das Radioprogramm selbst, sondern auch programmbegleitende journalistisch- redaktionell gestaltete Inhalte auf den Websites unterliegen der Aufsicht der zuständigen Landesmedienanstalt. Verstöße können geahndet werden, auch wenn (lediglich) anerkannte journalistische Grundsätze (und kein Gesetz) verletzt werden. Demgemäß muss auch diesen Inhalten vor einer Veröffentlichung hinreichend Aufmerksamkeit gewidmet werden. Wer „hart am Wind segeln“ will, kann erwägen, sein programmergänzendes Internetangebot der Aufsicht durch die Landesmedienanstalt dadurch zu entziehen, dass eine alternative Kontrolloption gewählt wird. Ob das hilft, ist angesichts verfassungsrechtlicher Bedenken nicht vollends gewiss.